Biedersinn
Freue dich nicht zu früh, Michel!
Ich werde sicher nicht behaupten, dass du der taz
deine Zipfelmütze aufsetzen darfst. Statt dessen verweise ich auf
den Charly von Hannes Wader: Einer
der, obwohl er wollte, nie wie du gewesen ist / Soll nicht sagen
dürfen, daß du so wie er geworden bist . . .
Ich bin übrigens kein Leser dieses Blatts, das neuerdings mit
Staatsknete aufgepäppelt wird. Als einer, der die legendären
Null-Nummern und die anarchische Anfangszeit mit eigenen Beiträgen
begleitet hat, werde ich mich gelegentlich aber einmischen und mosern.
Der Mut zur Wahrheit etwa, so will mir scheinen, hat es in einem
biedersinnigen, im Lauf der Jahre verblödeten Milieu nicht
ganz einfach. In der taz kommt der
Ausdruck nur noch auf der letzten Seite als Aufforderung zum Blödeln
vor.
Und welches Liedlein summt man dazu am Besten? Das von der kritischen
"Grundeinstellung", soweit ich höre, ausgerechnet.
Merkwürdigerweise erinnert mich das an Spielchen, in denen das
Wissen immer nur Ausgewählten zugänglich war, der Allgemeinheit
aber Blödeleien zugepasst wurden.
Wenn man das Verhältnis der Zeitungen
zu Lügengebäuden aus dem Wilden Westen im Jahre 2003 betrachtet,
ergibt sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit der Verdacht, dass
dieses Verhältnis nicht von jener Art ist, welche diese Gebäude
(mit schrecklich verbogenen Balken) zum Einstürzen bringen will,
sondern so, dass sie anders gar keinen Bestand hätten.
Aber gerade die Tatsache, dass die in Millionenauflagen täglich
niederhämmernden Nachrichten nötig sind, die Bauten zu erhalten,
macht es sehr wahrscheinlich, dass sie irgendwann einstürzen.
Möglicherweise werden größere danach aufgerichtet. Vielleicht
wird der Blätterwald immer biedersinnig weiterrauschen. Die Begriffe
aber, Michel, das was Mut ist zum Beispiel und Wahrheit, das kann
sich ja nicht ändern, egal, wie eifrig man blödeln mag.
Vorerst muß man zufrieden sein, wenn die taz
über den Geldtransfer aus den armen in die reichen Länder berichtet,
daran hat sich seit hundert Jahren ja auch nichts geändert.
Wird es aber wieder hundert Jahre dauern, bis die Lügen, die sich
um das Thema AIDS ranken, in Teilen der Presse dargestellt werden?
Mit Gender-Gaga, falls noch nicht erwähnt, ist den Betroffenen
und den vielleicht noch nicht Betroffenen aus den bekannten Risikogruppen
jedenfalls nicht geholfen.
Wer sich dazu bequemen kann, seinen eigenen Verstand zu gebrauchen,
findet Hilfe aber möglicherweise hier.
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